Im letzten Blog Artikel dieser Reihe gingen wir auf die unterschiedlichen Fertigungstiefen ein, mit denen Anbieter von Sprachdiensten ihr Angebot produzieren. Für ein systematisches Vorgehen orientierte sich jener Artikel an einem Architekturbild, auf das wir in diesem Beitrag nun näher eingehen wollen. Dieser etwas technischere Artikel soll das Verständnis für den nachfolgenden letzten Blogbeitrag unserer Reihe schaffen, in welchem wir auf die speziellen Qualitäts- und Sicherheitsbedürfnisse der Anwender eingehen.
Mit einem Blick auf das dort gezeigte Bild fällt unmittelbar auf, dass der Wechsel von PSTN/ISDN zu IP zu einer weitaus höheren technischen Komplexität führt. Denn galt für PSTN/ISDN mehr oder weniger das Prinzip „Ein Netz, ein Dienst“, so gilt für die neuen sogenannten Next Generation Networks (NGN) das Paradigma „Trennung von Leitung und Dienst“, d.h. alle Telekommunikationsdienste werden auf einer universellen Netzinfrastruktur produziert. Somit findet die seit nahezu 10 Jahre dauernde Entwicklung zu All IP mit der Ablösung des PSTN/ISDN ihren Abschluss.
Diese Architektur markiert aber auch gleichermaßen den Versuch der etablierten Netzanbieter, sich in einem umkämpften Marktumfeld durch eine robuste und hochwertige VoIP Produktion zu positionieren und sich vom Angebot der konkurrierenden sogenannten Over the Top (OTT) Anbieter und deren Call Funktionen abzuheben.
Ein wesentlicher Treiber steckt dabei in der Absicht, einen konvergenten Service für stationäre wie für mobile Zugänge zu erzielen, und alle Varianten von Telefonieanschlüssen für Unternehmen und Haushalte zu produzieren.
Im Prinzip wären nun alle im Architekturmodell enthaltenen Aspekte zu besprechen, doch konzentrieren wir uns hier auf die VoIP Serviceinfrastruktur mit den Basisdiensten und den VoIP Applikationen. Wenn wir in diesem Kontext von Netzen sprechen, meinen wir die Vernetzung der in den Sprachdienst einbezogenen Komponenten, deren Kommunikation auf einer darunterliegenden IP-Infrastruktur beruht.
Die Basis einer VoIP Serviceinfrastruktur bildet – und da herrscht übereinstimmender Konsens – das SIP Protokoll, das die benötigten Netzfunktionen in Grundzügen vorschreibt. Darauf aufbauend finden wir je nach Größe des Anbieters ein breites Spektrum von Bauweisen. Die Großen der Branche, und damit zurzeit häufig auch die, die aus der traditionellen Telekommunikationswelt kommen, orientieren sich dabei an der IMS[1] Architektur. Diese Architektur beschreibt in vielen funktionalen Bausteinen die Komponenten, Schnittstellen und Anforderungen, mit denen ein dem PSTN/ISDN gleichwertiger VoIP Service produziert werden kann. Das bedeutet, diese Architektur soll alle Aspekte berücksichtigen, die aus den bisherigen Erfahrungen im Betrieb von Sprachnetzen gewonnen wurden. Außerdem verfügen diese Unternehmen über einen sehr großen Kundenstamm, den sie ohne größere Abwanderungen in die neue Welt migrieren möchten, weshalb sie diesem einen möglichst gleichwertigen Dienst anbieten wollen. Daher charakterisieren folgende Eigenschaften deren Sprachnetze:
- Skalierbarkeit für mehrere Millionen Anschlüsse
- möglichst hochwertige Sprachqualität
- dem ISDN äquivalente Leistungsmerkmale und Verfügbarkeiten
- Sicherheit
- Separierung nach Kundengruppen wie Consumer- und Businesskunden
- Zusammenschaltung mit anderen Providern aus der Festnetz- und Mobilfunkwelt
- Vorgaben der Regulierung, denen diese Provider im besonderen Maße unterworfen sind
- vollautomatisierte Prozessketten
- einen hierarchisch organisierten Betrieb
- u.v.m.
Aber auch kleinere Anbieter wollen mit der Qualität ihrer Sprachnetze diesen Ansprüchen nicht nachstehen und versuchen, sie mit weniger Aufwand umzusetzen.
Technischer Aufbau einer VoIP Serviceinfrastruktur
Damit eine übergreifende Vermittlung von Verbindungen zwischen Endgeräten funktioniert, müssen sich SIP-fähige Endgeräte an einem SIP Server registrieren (Registrar) und dabei authentisieren. Die Verwaltung findet in einer Datenbank statt, dem Homesubscriber Service (HSS, häufig auch Subscriber Database genannt). Spezielle Vermittlungsknoten vermitteln mit Hilfe dieser Datenbank die Zustellung von Verbindungen zwischen den Anschlüssen. Über einen Rufnummernserver wird die Providerkennung und damit das Zielnetz einer Verbindung identifiziert.
In der Regel verbinden sich SIP-fähige Endgeräte mit einem Registrar über einen SIP Proxyserver, dessen IP Adresse über einen Domain Name Service (DNS) ermittelt wird. Das gibt dem Provider die Möglichkeit an die Hand, den Zugang zu seiner SIP Infrastruktur zu steuern, sei es zur Regionalisierung und Lastverteilung, möglicherweise aber auch zur Auswahl spezieller Systeme für unterschiedliche Anschlusstypen und Kundengruppen.
Auch kommunizieren SIP Endgeräte in der Regel nicht unmittelbar miteinander, sondern über Gateways. Das ermöglicht einem Provider, IP Adressen zu wechseln, den RTP Mediastrom zu transcodieren, zu verschlüsseln und andere gesetzlich vorgeschriebene Maßnahmen durchzuführen. Darüber hinaus bilden solche Gateways auch die Übergänge zu anderen VoIP Providern oder zu herkömmlichen PSTN/ISDN bzw. Mobilfunknetzen.
Die Leistungsmerkmale der Telefonie werden von einem Telefonie Applikationsserver bereitgestellt. Er verfügt über verschiedene Schnittstellen wie Feature Access Codes (FACS), Webportal etc., über die er bedient werden kann.
Damit die Basisdienste funktionieren, müssen weitere IP Dienste unterstützen. Das sind insbesondere STUN (Session Traversal Utilities für Network Address Translation), um korrekte IP-Adressen in der SIP Kommunikation zu verwenden, NTP (Network Time Protokoll) für ein korrektes Datum zur Validierung von Zertifikatsdaten, beispielsweise für TLS Verschlüsselung, sowie ENUM zur Konvertierung von Rufnummern in SIP Adressen.
Ein RACS (Ressource und Admission Control System) stellt sicher, dass genügend Bandbreite für eine ausreichende Sprachqualität auf dem Anschluss zur Verfügung steht.
Die Komplexität der oben skizzierten Architektur stellt große Herausforderungen an eine beherrschbare und zuverlässige VoIP Produktion. Gerade unter den Aspekten wie User Experience, Qualität, Sicherheit und Interoperabilität werden viele Provider, ihre Hersteller und ihre Kunden voraussichtlich noch eine Weile ihre Erfahrungen machen müssen. Andererseits kann ein Unternehmen den Wechsel zu einer All IP Lösung nicht mehr lange verzögern. Worauf dabei zu achten ist, werden wir im letzten Beitrag unserer Blogreihe adressieren. Auf jeden Fall sollte für diesen Schritt die Kompetenz eines versierten Partners in Anspruch genommen nehmen.
Bisher in dieser Reihe erschienen:
Mehr zu diesem Themenkomplex:
[1] IMS steht für IP Multimedia Subsystem, das vom 3rd Generation Partnership Project standardisiert wurde. Vom European Telecommunications Standards Institute wurde dieser Standard an das Festnetz adaptiert.
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